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FLASCHENPOST

April 2019

Oben111

 

 

Nach einer berauschenden, ausgesprochen entspannten Überfahrt über den Atlantik waren wir also da, in der Karibik. Ein Gebiet, das bei uns keine Vorschusslorbeeren erntete. Gross waren unsere Vorurteile, genährt aus Gehörtem und Gelesenem. Viel zu teuer die Lebenskosten, abgezockt werde man mit aufdringlichen Verkaufsabsichten, unfreundlich, ja gar kriminell sollen die Einheimischen sein, überfüllt mit Yachties und Charterbooten. 

Erst mal mussten wir uns den Atlantikrausch aus den Augen reiben und uns besinnen, was wir hier überhaupt wollen. Eine Reparatur am Ruder war als erstes angesagt. Die dauerte etwas länger als erwartet. So blieb uns Zeit, uns auf die karibische Lebensart einzustellen. Und die fühlte sich erst mal gar nicht so übel an.

Grenada eignete sich sehr gut dazu. Eine grüne, bergige Insel mit Regenwald und Mangrovengestrüpp, sie strahlt Eigenständigkeit aus, je nach Region waren wir als Weisse schon fast ein bisschen exotisch, Rumdestillerien, entspannte Tageseinteilung, «Respect» die Begrüssung. Wir fragten uns bald einmal, wo sind die Charteryachten, wo die unfreundlichen Einheimischen, wo die aufdringlichen Warenanpreiser, die dich am Ankerplatz aufsuchen, kriminell? Wir bemühten uns und fanden nichts von all dem. So schlimm kann es also nicht sein. 

So entschieden wir uns nicht für die Flucht nach vorne, das heisst so schnell wie möglich weiter in ein anderes Gebiet zu segeln, sondern in aller Ruhe dem kleinen Antillenbogen entlang von Insel zu Insel Richtung Norden zu segeln, uns Zeit zu lassen und uns unser eigenes Bild über die Karibik zu machen.

Von Grenada bis Antigua haben wir es bisher geschafft.

Entdeckt haben wir ein traumhaftes Segelgebiet, mit stetem Wind aus Osten und geschützte Ankerplätze an den Westseiten der Inseln. Traumhafte Strände mit Kokospalmen gesäumt, eine einfache Lebensweise angepasst an den Tagesrhythmus, einfachste Behausungen, Vulkanlanschaften überwachsen mit Regenwäldern, Wasserfälle, Zuckerrohrplantagen, allerlei neue Gaumenkitzel, freundliche und zurückhaltende Menschen, aber auch Armut, eine Bevölkerung mit einer Jahrhunderte alten Geschichte geprägt von Sklaventum und Kolonialisierung, Insulaner im Dauerrausch von Rum und Marihuana, Kreuzfahrtschiffe, Luxustourismus, von Hurrikanen zerstörte Häuser, Strassen und Bäume.

Wunderschön sind sie, die kleinen Antillen. Entspanntes Segeln im Passatwind. Das heisst, Wind und Wetter bringen während den Wintermonaten keine bösen Überraschungen. Palmen gesäumte Ankerplätze wie im Bilderbuch. Seglerisch also alles sehr entspannt. Damit es nicht langweilig wird, sind die Inseln mit Riffen bespickt, die knapp unter der Wasserlinie liegen. So kommt es, dass auch hier Hajot seine Wonne am Steuer in engen Gewässern ausleben kann, während ich über den Seekarten brüte, die Strömungen studiere und am Bug Ausguck halte.

Übrigens, ein Freund hat kürzlich meine Havarievorstellungen mit "blühende Fantasie" bezeichnet.

Der ganze Inselbogen ist durch Vulkane entstanden. So hat fast jede Insel seinen eigenen Vulkan. Die letzten Ausbrüche sind noch gar nicht lange her und Gebiete sind zu Sperrzonen, wegen erneut drohenden Ausbrüchen, erklärt worden. Einige rauchen vor sich hin und können zu Fuss bestiegen werden. Der Aufstieg führt meist durch üppigen Regenwald. Satte Grünabstufungen, riesige Blätter, Farnbäume, Arm dicke Bambusstangen, weit oben Baumkronen, die im Wind ohrenbetäubend rauschen, und wenn du Glück hast, fällt dir eine Mango direkt vor die Füsse, ein unvergessliches Erlebnis. 

Dann gilt es all die essbaren Pflanzen, die da im Regenwald gedeihen zu erkunden. Oft sind es die Wurzeln, die es bis in die Küche schaffen. Maniok, Dasheen, Tanian, Yam. Oder dann eben Brotfrucht, Kochbanane, Chayoten und all die exotischen Früchte. Irgendwann haben auch wir gemerkt, dass wir an den Strassenständen deutlich mehr bezahlen, als die Einheimischen. Kann ich ja auch verstehen und finde ich richtig. Beim Vierfachen wurden wir aber doch etwas stutzig und lernten, dass man handeln kann. Da kommt für mich einer der schwierigen Punkte zur Sprache. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aus materieller Sicht arm und lebt mit sehr bescheidenen Mitteln. Ihre Inseln werden richtig gehend umzingelt von Segelyachten. Jede einzelne kostet wahrscheinlich mehr, als eine karibische Familie ihr ganzes Leben verdienen wird. Diese zwei Gegensätze kann ich schwer ertragen. Da kann ich verstehen, dass die Insulaner ein Handel mit den Touristen abschliessen wollen. Wie viel ist normal und gesund, damit es beiden Seiten wohl ist? 

Ein Beispiel Grenadischer Gastfreundschaft. Wir bestiegen den Mt. Gua Gua, ein Vulkankrater in der Mitte der Insel. Zurück am Ausgangspunkt stellten wir uns an den Strassenrand um per Autostop zurück an die Küste zu gelangen. Uns gegenüber war eine Bar, dessen Wirt Passanten in seine Gaststätte lockte. Wir lehnten seine Einladung ab. Im Handumdrehen stellte er sich mit uns an den Strassenrand, hielt jedes passierende Auto an, bis ein Polizist bereit war, uns bis zur Küste zu fahren. So haben wir bisher die Karibik erlebt. Wir haben sein Restaurant abgelehnt, im Gegenzug hat er für uns eine Mitfahrgelegenheit organisiert. Ja, ich habe viel gelernt in der Karibik, nicht nur über das Segeln.

Wir waren überrascht, wie unterschiedlich die Inseln sind. Nicht nur was die Landschaft, sondern auch was den Lebensstandard betrifft. Ein Massstab dafür war für uns, wieviele Hühner und Ziegen auf den Strassen anzutreffen waren. Je mehr, desto mehr Bedeutung hat die Selbstversorgung und die soziale Unterstützung innerhalb der Familie, und umso freundlicher, respektvoller, aber auch zurückhaltender wurden wir behandelt.

All unsere Erlebnisse und jede Insel einzeln zu beschreiben würde diesen Rahmen völlig sprengen. Zwei drei Highlights müssen aber erwähnt sein.

Busfahren: es gibt Buslinien, aber keine Haltestellen und keinen Fahrplan. Man stellt sich an den Strassenrand und gibt ein Zeichen, wenn ein Minibus angerauscht kommt. Dann wird gestopft, was der Wagen hergibt. Fast jeder Sitz ist doppelt belegt, in ländlichen Gegenden kommt noch allerhand Grünzeug dazu. Verkeilt zwischen Nachbars Hüftknochen, mit dem Oberkörper abwechslungsweise einer vorne, einer hinten, entsprechenden Geruchsbildungen inklusive, Gepäck und Grünzeug auf der Schoss, «sitzt» man da, gepolstert besser als mit jedem Airbag. Dies ist aber auch nötig, beim anschliessenden Fahrstil. Es fühlt sich an, wie in einer fürchterlichen Achterbahn. Da kann es schon mal vorkommen, dass in voller Fahrt, ohne Fremdeinwirkung die Windschutzscheibe zerspringt (erlebt auf St. Vincent). Wurde der Spannungsbogen im Bus etwa überzogen? Das wäre alles noch harmlos, wenn da nicht noch diese ohrenbetäubende Musik wäre. Wer da an Reggae denkt, irrt sich. Die kleinen Antillen haben ihren eigenen Musikstil, meiner Meinung nach eine Zumutung für die Ohren und hauptsächlich laut. Wir haben Segler getroffen, die seit Jahren in der Karibik unterwegs sind und noch nie mit einem öffentlichen Bus gefahren sind. Für uns unvorstellbar, man bekommt in kürzester Zeit soviel Lebenskultur mit und es gibt immer wieder Überraschungen.

St Vincent: Da will keiner hin, jeder Segler macht einen grossen Bogen um die Insel. Viel zu gefährlich, lautet die allgemeine Meinung. Wir waren da und es ist unser Höhepunkt dieser Inselkette. Landschaftlich fantastisch, der Nordwesten unbewohnt und wild. Die Menschen dunkler als anderswo, mit wilden Haartrachten, jeder trägt eine Machete mit sich, mit der er sein Grünzeug oder Leguane im Regenwald kultiviert. Dahinter verbergen sich aber ausgesprochen freundliche und aufgeschlossene, respektvolle Menschen. Es gibt sie noch die Überraschungen und einsamen Ecken.

Marie Galante: Das pure Gegenteil. Flach, gehört zu Frankreich, dementsprechend zivilisiert, aber für den Tourismus wahrscheinlich schon fast zu langweilig und etwas abgelegen um die grossen Massen anzuziehen. Unspektakulär liegt die Insel da und träumt vor sich hin. Was hat uns denn so besonders gefallen? Es ist die Ruhe, das Segeln über 4-5 Meter Wassertiefe in den allerschönsten türkis Farben, die weissen Strände und kaum ein Mensch ist da.

Wir mussten unser Vorurteil massiv korrigieren. Es gibt eben Die und Die Karibik, je nach dem wie man den Blickwinkel und die Ansprüche stellt. Oder vielleicht auch wie man auf die Menschen zugeht und dabei nie vergisst, dass man Gast ist.

Maja und Hajot

© 2021 SY-Anori

· Maja Berger · Hajot Badertscher · Thun · Switzerland · Mail

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